Open Data für Mobilitätsanalysen während der Corona Pandemie

Wer liest heute nicht täglich über Corona? Dabei überbieten sich die Magazine, Zeitungen und Medien mit immer neuen Statistiken und Darstellungen. Nicht selten werden aus Fallzahlen und Inzidenzen Rückschlüsse auf unser Gesundheitssystem und die Wirksamkeit der Massnahmen vom Bund gezogen.

Daraus lassen sich auch für die Raumbeobachtung gewichtige Lehren ziehen, die ich in den letzten Wochen anhand der Corona-Krise mit Mobilitätszahlen zu illustrieren versucht habe.

Open Data als ultimatives Demokratieinstrument

In der Schweiz stellen verschiedene Anbieter ein sehr umfangreiches Portfolio an Daten zur Verfügung. Fortschrittlich sind beispielsweise die Kantone Zürich oder Basel-Stadt, aber auch auf kommunaler Ebene beispielsweise die Stadt Zürich.

Die offenen Daten ermöglichen es jedermann, sich ein Bild über die aktuelle Situation zu machen. Es entsteht ein Wettbewerb um die verständlichste und nützlichste Aufbereitung der Daten. Offene Daten sind ein Privileg, das wir nutzen sollten. In meinen Analysen habe ich die offenen Zählstellendaten der Stadt Zürich verwendet.

Spannend sind übrigens auch die Daten, die die intervista AG aktuell für den Kanton Zürich sammelt: https://statistik.zh.ch/internet/justiz_inneres/statistik/de/aktuell/mitteilungen/2020/covid_mobilitaetsverhalten.html - für die Analyse hier wurden diese aber nicht beigezogen.

Daten als Massnahmencontrolling

Raumbeobachtung soll die Wirksamkeit oder Notwendigkeit von Massnahmen aufzeigen. Während der Corona-Krise können Mobilitätsdaten als Indikator für die gesellschaftliche Aktivität genutzt werden. Wir haben dabei einige interessante Punkte festgestellt:

  • Der motorisierte Individualverkehr geht in der Stadt Zürich klar und konstant zurück.
  • Der Veloverkehr ist nach anfänglichem Einbruch zum krisenresistenten Fahrzeug geworden. Besonders an schönen Wochenendtagen ist das Velo – wenig erstaunlich – ein attraktives Verkehrsmittel.
  • Der Fussverkehr scheint auf den ersten Blick am deutlichsten einzubrechen.
  • An Wochenenden nimmt die Aktivität im Langsamverkehr nur in geringem Masse ab; besonders bei schönem Wetter.

Allerdings – dies sind nur Zahlen der Verkehrszählstellen! Unter https://urbanista.ch/corona-mobilitaet/ werden die Daten interaktiv und so aktuell wie möglich dargestellt.

Abb. 1: Indexierte Entwicklung der Zählstellen in der Stadt Zürich

Kritische Betrachtung immer angebracht

Genauso wie die Zahl der Corona-Infizierten von der Anzahl Tests abhängt, sollen auch die Zählstellendaten nicht für bare Münze genommen werden. So ergeben sich aus den Daten oben bei genauerem Hinschauen Vorbehalte:

  • In Zürich wurden diverse Parks geschlossen, wo neuralgische Fussgängerzählstellen stehen. In der Summe gibt es so einen klaren Rückgang. Die Sperrungen verzerren aber das Gesamtbild, denn anderen Zählstellen verzeichnen teils deutliche Anstiege. Es ist also durchaus möglich, dass die Aktivitäten nicht abgenommen haben, sondern nur verlagert wurden.
  • Im März/April schwankte die Temperatur stark; teilweise verzeichneten wir nach dem Lockdown Temperaturen um den Gefrierpunkt.  So nahmen besonders die Velofrequenzen stärker ab; nicht die ganze Abnahme lässt sich aber auf die Massnahmen des Bundes zurückführen.

Abb. 2: Zwei gegensätzliche Beispiele (Letten wurde gesperrt) – Wahrheit liegt wohl in der Mitte.

Abb. 3: Abnahme der Velofrequenz war v.a. durch Temperatursturz bedingt.

Kein Prognoseinstrument

Was uns die Corona-Krise auch gelehrt haben sollte: Daten sind keine Prognosetools, sondern ein Abbild der Vergangenheit. Obwohl relativ umfangreiche Daten zur COVID-19-Ausbreitung verfügbar sind, waren die Prognosen oft unbrauchbar und systematisch unterschätzt – wir wussten oft erst spät, wo in der Exponentialverteilung wir standen.

Gerade in der Raumentwicklung lässt sich die Zukunft ebenfalls nur schwer vorhersagen. Sammeln wir mehr Daten, erhalten wir Informationen aus der Vergangenheit und können Lehren daraus ziehen. Mehr Daten heisst aber nicht, dass sich die Zukunft besser einschätzen lässt. Solange wir die Verteilung der Daten und deren Einflussfaktoren nicht kennen, ist Vorsicht geboten.

Deshalb gilt für mich: Mit OpenData schaue ich in die Vergangenheit und lerne daraus. Diesen Lerneffekt können wir uns in der Raumentwicklung zunutze machen. BigData soll aber nicht zu langfristigen Voraussagen verleiten. Je ferner der Zeithorizont und je unkontrollierbarer die Daten, desto unberechenbarer werden die Prognosen.


Über den/die Autor/in

Thomas Hug

Thomas Hug ist ausgebildeter Verkehrs- & Raumplaner. In seinen Tätigkeiten arbeitet er an den Schnittstellen zwischen Mobilität, Raum und Mensch. Als Co-Gründer vom Startup urbanista.ch versucht er der Schweizer Planungsbranche neue Impulse zu verleihen.

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Kommentare

11.05.2020 | Helmut-Mario Reiter

Sehr interessante und nützliche Analyse zu den erlebten Verkehrsänderungen. Bitte damit mindestens weitermachen 2 Monate vor und 2 Monate nach Lock-Down

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