Autonom fahrende Busse: Erkenntnisse und neue Pilot-Projekte

In der Schweiz werden oder wurden in bereits 6 Städten selbstfahrende Busse getestet: in Marly bei Freiburg, in Meyrin bei Genf, in Sion und Bern sind selbstfahrende Kleinbusse im Passagierbetrieb unterwegs. In Neuhausen am Rheinfall und in Zug wurde der Testbetrieb bereits letztes Jahr abgeschlossen oder gehen in ein Folgeprojekt über, und in Arbon wird ein neues Pilotprojekt geplant. Dieser Beitrag gibt eine Übersicht über die Schweizer Pilotprojekte und ist eine Aktualisierung des Blogbeitrages "Autonom fahrende Busse – in der Schweiz bald Alltag?" aus dem Jahr 2018.

Sion

Das Projekt „SmartShuttle“ von Postauto ist wohl der bekannteste und mit zwei Linien und 13 Haltestellen auch umfassendste Versuchsbetrieb. In einer ersten Phase fuhr der Bus eine Runde durch die Altstadt, hauptsächlich durch verkehrsberuhigte Strassen. In der Zwischenzeit wurde die Linienführung ergänzt - der Bus fährt jetzt auf einer zweiten Linie bis zum Bahnhof, ist auch auf stärker befahrenen Strassen unterwegs und quert eine ampelgesteuerte Kreuzung. In den schmalen Altstadtgassen zeigt sich, dass die selbstfahrenden Busse auch in sehr engen Verhältnissen sicher unterwegs sein können.

Aufgrund der Corona-Pandemie werden die SmartShuttles bis auf weiteres nicht eingesetzt. Ein Datum zur Fortsetzung des Testbetriebs ist nicht bekannt.

Foto: Postauto.ch

STECKBRIEF SION
Linien „Bahnhof“ und „Centre-ville“
Betreiber: Postauto
Fahrplan: momentan kein Betrieb (Corona)
https://www.postauto.ch/de/testbetrieb-sitten


Neuhausen am Rheinfall

Vom Frühling 2018 bis Mitte 2019 war in Neuhausen ein Bus vom Typ NAVYA unterwegs. Er fuhr zwischen dem Zentrum Neuhausen und dem Industrieplatz, und bediente dabei drei Haltestellen. Die Strecke führte durch eine 30-er Zone mit einem hohen Verkehrsaufkommen an Fussverkehr, Veloverkehr und Individualverkehr, und auch einigen Parkplätzen. Im Juni 2019 wurde die Strecke bis zum Rheinfallbecken mit vier weiteren Haltestellen erweitert. Dabei war die 15% Steigung dazwischen Besonderheit und Herausforderung des Projektes zugleich.

Der Shuttle verkehrte als Linie 12, fuhr nach festem Fahrplan und ist in das Leitsystem der Verkehrsbetriebe Schaffhausen integriert. Aufgrund von Steuerungsproblemen, welche das Fahrzeug ungeplant zum Stehen brachten, musste der Testbetrieb vorzeitig beendet werden, es wird auch ein Herstellerwechsel erwogen. Auch eine Kollision mit einer E-Bike-Lenkerin verzögerte das Projekt. Das Pilotprojekt "Linie 12" wurde laut Betreiber dennoch im Juni 2019 erfolgreich abgeschlossen. Das Nachfolgeprojekt, um die Erste-/Letzte-Meile im realen Umfeld zu testen, wird derzeit ausgearbeitet, aufgrund von Lieferengpässen durch Corona verzögert sich das Projekt jedoch auf einen unbestimmten Zeitpunkt.

Foto: Claudio Büchel

STECKBRIEF Neuhausen
Linie 12
Betreiber: Verkehrsbetriebe Schaffhausen
Fahrplan: Testbetrieb beendet, Folgeprojekt in Arbeit
https://www.swisstransitlab.com/de/linie-12


Meyrin

In der Genfer Vorortsgemeinde Meyrin verbindet ein selbstfahrender Bus den Bahnhof mit dem Ortszentrum, wo sich auch die Tramhaltestelle Meyrin-Village befindet. Zuvor wurde das autonome Fahrzeug auf dem Messegelände des Autosalons getestet. Der Bus verkehrt in Meyrin durch verkehrsberuhigte Quartierstrassen und wendet in sehr engen Verhältnissen im Ortszentrum. Zurzeit ist der Testbetrieb ausgesetzt, er wird jedoch ab dem 20.Juli während der Hauptverkehrszeiten im Halbstundentakt am Morgen und am Abend wieder fortgesetzt.

Der Bus ist Teil des europäischen Forschungsprojekts AVENUE (Autonomous Vehicles to Evolve to a New Urban Experience). Ziel des Projekts ist es, die Technologie autonomer Busse und deren Kundenfreundlichkeit zu testen, wobei der Test neben Genf auch in 15 weiteren europäischen Städten durchgeführt wird. Im Gegensatz zu den meisten autonomen Tests wird die XA-Linie auch bei technischen Problemen bedient: Ein motorisierter Kleinbus übernimmt, wenn das autonome Fahrzeug nicht verfügbar ist.

Neben der Funktion als Last-Mile-Angebot im Linienverkehr wird auch das Fahrzeug auch als Rufbus / Angebot auf Nachfrage getestet. Ab Juni 2020 wird auf dem Gelände des Hôpital des Trois-Chêne ein solches Angebot stufenweise etabliert.

STECKBRIEF MEYRIN
Linie XA Meyrin-Gare - Meyrin-Village
Betreiber TPG
Fahrplan: Fortsetzung Testbetrieb ab 20.07.2020: Halbstundentakt morgens (5.30 – 9 Uhr) und abends (16.45 – 19.30)
https://www.tpg.ch/fr/innovation#vehicule-autonome


Marly

In der Agglomeration Freiburg fährt ein selbstfahrender Bus auf dem Areal des „Innovation Center“. Der Bus erschliesst das weitläufige Areal und schliesst es in Marly-Cité an die Linie 1 an, welche die Verbindung an den Bahnhof und das Stadtzentrum von Freiburg sicherstellt. Der Kleinbus befährt dabei hauptsächlich Strassen innerhalb des Innovation Center und bewegt sich daher nicht auf Hauptstrassen mit viel Verkehr. Der Betrieb zeigt, dass mit autonom fahrenden Kleinbussen grosse Areale, welche aber zuwenig Potenzial für eine klassische Buslinie aufweisen, nachfragegerecht mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen werden können. Die autonome Buslinie 100 wurde während der Corona-Pandemie ebenfalls eingestellt, ist aber heute wieder in Betrieb.

Foto: TPF.ch

STECKBRIEF MARLY
Linie „Navette“ 100
Betreiber Verkehrsbetriebe Freiburg TPF
Fahrplan: Montag – Freitag von 6:30 Uhr bis 18.30 Uhr, im Halbstundentakt
https://www.tpf.ch/navya


 

Zug

In Zug wurde, federführend durch die SBB, Mobility und den ZVB der Betrieb eines Kleinbusses in innenstädtischen Verhältnissen bei vorwiegend Tempo 50 getestet. Das Ziel des Projektes "MyShuttle" war den Reisenden ein flexibles und kundenfreundliches Angebot von A nach B zu geben, sowie sich unterschiedliche Rahmenbedingungen, wie die physische Umwelt oder das Verkehrsaufkommen, auf das Fahrzeug, den Betrieb und die Kundenakzeptanz auswirkten.

Die Projektpartner testeten zwischen 2017 und 2019 stufenweise verschiedene Einsatzmöglichkeiten von selbstfahrenden Fahrzeugen: als Shuttleservice, integriert ins Netz des bestehenden öV, als flexibles on-demand-Angebot (auf Abruf) und Zubringer zum Bahnhof sowie als Teil eines Carsharing-Angebots für ein bestimmtes Gebiet in der Stadt Zug. Dabei wurden Echtzeitinformationen zu den Fahrzeugen in die SBB App integriert. Um den Betrieb zu ermöglichen, wurden vom ausgewählten Anbieter 3D-Karten erstellt und Sensoren eingesetzt, welche aber bei Baustellen und Vegetation im Strassenraum an ihre Grenzen stiessen. Somit zeigt der Versuch, dass ohne Sicherheitsfahrer der Betrieb nicht möglich ist, trotzdem konnte 84% der Strecke autonom gefahren werden. Auch die Reaktion der Kunden ist positiv: 90% bei den Bevölkerungsfahrten gaben an, das Shuttle erneut nutzen zu wollen.

Foto: Abschlussbericht MyShuttle

STECKBRIEF ZUG
Betreiber: SBB, Zugerland Verkehrsbetriebe, Mobility, Technologie Cluster Zug
Fahrplan: Testbetrieb beendet
https://www.zvb.ch/projekte/selbstfahrender-bus-im-test/
Abhschlussbericht


 

Bern

In der Berner Altstadt wird seit dem Sommer 2019 für voraussichtlich zwei Jahre ein autonomer Bus getestet. Die Linie 23 fährt zwischen der Marzillibahn Talstation, dem Mattelift, und dem Bärenpark, wo Anschluss an die Trolleybuslinie 12 besteht und bedient sechs Haltestellen. Mit dem Testbetrieb sollen Erfahrungen gesammelt werden, welchen Einfluss autonome Fahrzeuge auf Organisation, das Personal und die betrieblichen Arbeitsabläufe hat, insbesondere die automatisierte Kommunikation mit der bedienten Leitstelle. Partner des Projektes sind unter anderem die SBB. Momentan ist der Betrieb in Folge der Massnahmen zum Schutz vor dem Corona-Virus bis zum 10. August eingestellt.

Foto: bernmobil.ch

STECKBRIEF BERN
Linie 23 Bärenpark – Marzilibahn Talstation
Betreiber: Bernmobil, SBB, Migros Aare, ewb, Stadt Bern
Fahrplan: Fortsetzung Testbetrieb ab 10.8.2020: Montag – Freitag von 11 Uhr bis 19 Uhr, im Halbstundentakt
https://www.bernmobil.ch/DE/Unternehmen/Portrait/10296/SFF/?oid=20349&lang=de


 

Ausblick: Arbon

Die Arboner Altstadt könnte bald durch autonome Fahrzeuge besser an den öffentlichen Verkehr angeschlossen werden. Anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der technischen Gesellschaft Arbon wurde die Machbarkeitsstudie SCCL (Self-Controlled City Liner) lanciert. Die Machbarkeitsstudie kam kürzlich zum Schluss, dass selbstfahrende Busse in Arbon technisch machbar sind.  Es wurden mögliche Routen, kritische Stellen und die Anbindung an des bestehende ÖV-Angebot analysiert. Laut der Machbarkeitsstudie wäre ein Rundkurs vom Bahnhof via Hafen durch die Altstadt Richtung Saurer-Museum, Rathaus und dann zurück zum Bahnhof geeignet, womit die Linie vor allem für touristische Zwecke, eventuell in Abstimmung an den Schiffsfahrplan intressant ist. Die Platzverhätlnisse sind für die kleinen und wendigen Fahrzeuge ausreichend und ermöglichen auch die Einrichtung von Haltestellenflächen. Auch die Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h sei optimal. Der Betrieb des selbstfahrenden Fahrzeugs ist vom ASTRA auf vorerst drei Jahre beschränkt, die Finanzierung des Projektes ist aber noch nicht restlos geklärt.

Vorgesehene Strecke und Haltestellen für den selbstfahrenden Bus. Foto: Stadt Arbon

STECKBRIEF ARBON
Betreiber: Eurobus, ArbonEnergie, TGA
Fahrplan: Noch nicht in Betrieb; voraussichtlich Montag – Freitag von 7:30 Uhr bis 18.30 Uhr, im Halbstundentakt
https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/stadt-arbon-gibt-gruenes-licht-fuer-selbstfahrende-busse-00137662/


 

Fazit

Die Testbetriebe zeigen, dass sich die autonom fahrenden Busse grundsätzlich in Schweizer Agglomerationen bewegen können. Neben dem Einsatz im Linienverkehr wird an mehreren Standorten auch der Einsatz auf der letzten Meile oder als Rufbus getestet. Zurzeit fährt in allen Bussen noch eine Aufsichtsperson mit, welche die Steuerung im Notfall übernehmen kann. Aufgrund ihrer tiefen Höchstgeschwindigkeit und ihrer kleinen Kapazität ist ihr Einsatz vor allem in Quartieren, Zentren oder weitläufigen Arealen sinnvoll. Da in allen Fahrzeugen die Mindestabstände aufgrund des Corona-Virus nicht eingehalten werden könnten, haben viele Betreiber den Testbetrieb pausiert, teilweise wie in Neuhausen muss auch die nächste Etappe des Projektes verschoben werden. Trotzdem gibt es immer mehr Städte, welche die Technologie testen wollen, wie beispielsweise Arbon. Was noch fehlt, ist ein Testbetrieb im ländlichen Siedlungsraum. 

 


Über den/die Autor/in

Claudio Büchel

Claudio Büchel ist Professor für Verkehrsplanung an der OST

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Über den/die Autor/in

Matthias Peter

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Kommentare

30.07.2020 | Heidje

Das war ein sehr interessanter Blog-Artikel. Danke dafür.

16.07.2020 | Bernhard Riegel

Hallo zusammen

Danke für die Übersicht über die CH-Versuche mit automatisierten Fahrzeugen. Die Informationen zum Bernmobil-Projekt sind nicht ganz korrekt.
Die Betriebszeiten sind Mo-Fr 11-19 Uhr. Neustart ist ab 10.8. geplant. Zudem werden weiterhin 8 Personen mitfahren können (die Information ist ganz frisch und wir korrigieren das auch noch auf unserer Homepage).
Wenn Projektpartner erwähnt werden, dann bitte alle: Migros Aare, ewb, Stadt Bern und SBB.

Beste Grüsse
Bernhard Riegel
Projektleiter SFF Bernmobil

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