Digitalisierung im urbanen Raum

geänderte Raumwahrnehmung und -nutzung und Potenziale im Sinne einer Responsive City

 


Peter wartet auf Paul, den er eigentlich hier treffen wollte. Dieser antwortet aber nicht auf seine Anrufe. Peter schaut mal auf Facebook nach, wann Paul das letzte Mal online war, dann poppt eine Twitter message auf. Paul twittert, dass er bei der Brücke wartet, bis sein Freund Peter endlich auftaucht. Ja also, dann weiss man ja, wo Paul steckt. Peter fragt mal Google, wie er denn zu der Brücke kommt und natürlich weiss Google das. Dann poppt auch gerade noch ein geo-tagged Wikipedia Artikel auf, der anzeigt, dass es in der Nähe einen Ort gibt, wo Peters Lieblingssänger mal aufgetreten ist und Peter denkt, dass dieser Umweg es wert sei, den Ort zu sehen. Nachdem er diesen tollen Ort besucht hat, geht er weiter, um Paul zu treffen. Langsam ist Peter hungrig und da poppt auch schon eine sponsored ad von einem neuen Sushi-Lokal auf. Nachdem Peter und Paul sich nun getroffen haben, gehen die beiden zu dem Sushi-Lokal. Dass daneben ein neues Lokal gerade neu geöffnet und ein super Angebot hat, wird gar nicht mehr gesehen.  (Geschichte nach der Idee von Graham et al., 2012: 464)


Diese kurze Geschichte veranschaulicht, wie die Digitalisierung den erlebten Stadtraum verändert. Unsere Wahrnehmung des Raumes wird durch digitale Anwendungen verändert und beeinflusst somit auch Peters Bewegung durch die Stadt. Diese kurze Geschichte wurde 2012 erzählt. Heute, acht Jahre später, können wir uns dies gar nicht mehr anders vorstellen und wir nutzen noch viele zusätzliche Gadgets.
Digitale Geräte und Anwendungen der Nutzerinnen und Nutzer in den Städten verändern somit nicht nur die Art und Weise, wie wir den Raum verstehen, sondern auch wie wir leben und den Raum nutzen.

Durch die Digitalisierung werden aber auch unvorstellbare Mengen an Daten gesammelt. Wenn wir uns durch die Stadt bewegen, hinterlassen wird digitale Spuren. Diese aggregierten nutzergenerierten Daten können helfen, die Stadt bedürfnisorientierter und zugänglicher zu gestalten. Die Stadt und ihre Dynamiken zu verstehen, ist unumgänglich für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Die aktiv oder passiv produzierten Daten können helfen, die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner zu verstehen. Dabei hilft das Konzept der Responsive City, also der „antwortenden Stadt“, denn es stellt die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt ins Zentrum einer reaktiven Stadtentwicklung. Der Mensch steht nicht mehr im Zentrum der Beobachtung wie in der Smart City, sondern im Zentrum der Aktion. Besonders für die Gestaltung öffentlicher Räume tun sich deshalb Potenziale auf, da Zielgruppen detaillierter beschrieben und gezielter aktiviert werden können. Die Responsive City schürt die Hoffnung, dass Prozesse transparenter, effizienter und effektiver werden. Das Konzept wird aus diesem Grund als grosse Chance für die Stadt der Zukunft angesehen. Sie soll dank der digitalen Verfahren ihren Nutzern öffentliche Angebote und Leistungen flexibel und ergebnisorientiert bereitstellen. Die Responsive City ist eine Ergänzung der Vision der Smart City, denn es nimmt den Aspekt einer Good Governance mit auf.

Nutzergenerierte Daten ermöglichen es, nutzerbezogenes Wissen über öffentliche Räume zu gewinnen und sie für Planung und Kommunikation zu nutzen. So wie es der Ansatz der Responsive City vorsieht. Eine Smart City produziert riesige Datenmengen und diese drängen ein „smart planning“ nahezu auf. Die digitalisierten Verfahren haben somit ein grosses Potenzial, da Städte zeitnah gesteuert werden können. Das heisst beispielsweise, dass nur längerfristig veränderbare Infrastruktur theoretisch durch eine kurzfristige, adaptive Steuerung von Nutzungen besser ausgelastet werden kann. Es ist aber auch zu beachten, dass die Geschwindigkeit der Digitalisierung auf eine noch immer eher träge institutionelle Planung trifft. Diese Ungleichzeitigkeiten könnten Wechselwirkungen schaffen, welche in ihrer räumlichen Bedeutung noch schwer abzuschätzen sind.
Es besteht die Meinung, dass Planerinnen und Planer erst noch verstehen müssen, welcher Wert und auch welcher Aufwand hinter solchen Daten stecken, um daraus Wissen abzuleiten.


„Zur produktiven Gestaltung unserer urbanen Räume müssen wir unsere Daten nutzen, Algorithmen kennen, verstehen und einsetzen; sie ersetzen aber kein Vertrauen und den direkten persönlichen Austausch in kritischen Phasen der Stadttransformation.“ (Thierstein, 2018: 35)


Im Sinne dieses Zitates lässt sich sagen, dass Daten für die Planung wahrscheinlich noch zu wenig genutzt werden, denn oft sind sie für Planerinnen und Planer auch nicht zugänglich und werden immer mehr von privaten Unternehmen erhoben, die den Verkauf von Daten als Geschäftsmodell sehen. Dies bedeutet einerseits, dass eine grosse Überzeugungskraft zu leisten ist, um Menschen zum Teilen ihres Wissens, zur Schaffung von Transparenz und zur Abgabe von Kontrolle und somit letztendlich von Macht zu bewegen.
Andererseits zeigt das Zitat aber auch, dass Daten das eigenständige Denken nicht ersetzen kann und darf. Daten können Grundlagen ergänzen und die Digitalisierung kann ein Hilfsmittel für die Planung darstellen, Planung an sich lässt sich aber nicht automatisieren.

Unabhängig von Aspekten des Datenschutzes stellt sich die Frage, ob auf Basis von nutzergenerierten Daten nicht grundsätzlich trotzdem ein rückwärtsbasiertes Planen stattfindet. Auch wenn in Zukunftsszenarien gedacht wird, zeigen nutzergenerierte Daten heutige und nicht morgige Bedürfnisse auf.

Zudem ist zu fragen, ob auf der Idee der Daten als Geschäftsmodell, die Digitalisierung wirklich zu einer Stärkung und nicht doch eher zu einer Ökonomisierung der Planung führt?

In diesem Sinne: Fortschrittliches Denken unter Einbeziehung der Vorteile der Digitalisierung kann Türen öffnen, kritisches Denken sollte dabei aber nicht auf der Strecke bleiben. Somit bleibt es möglich, auch auf einer neuen Datenbasis ein eigenes kreatives Bild der Stadt der Zukunft zu entwickeln, welches auch die soziale Komponente einschliesst und nach einer hohen Qualität strebt. Dies schliesst auch eine vielfältige Anwendung verschiedener Planungsansätze mit ein – die Responsive City ist einer davon.

 


Verwendete Quellen:

Förster, A. und Schüller, K. (2017). Von Selbstoptimierung und Stadtoptimierung. Schaffen Nutzer und IT die Stadtplanung ab? in BBSR (Hrsg.) Smarter Cities – better Life? Informationen zur Raumentwicklung 1/2017 (IzR): 122-135.

Goldsmith, St. und Crawford, S. (2014). The responsive City: engaging communities through data-smart governance. San Francisco, Wiley.

Graham, M., Zook, M., Boulton, A. (2012). Augmented reality in urban places: contested content and the duplicity of code, Transactions of the institute of british geographers (38): 464-479.

Hasler, St. (2018). De Smart à Responsive, les enjeux de la planification urbaine à l’ère numérique. Les experiences de Genève et Singapour. Thèse de doctorat, faculté de l’environnement naturel, architectural et construit. Lausanne, epfl.

Thierstein, A. (2018). Digitale Transformation im urbanen Raum: drei Beobachtungen, StadtBauwelt (219): 32-35.


 

 


Über den/die Autor/in

Jolanda Zurfluh

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