Gewerbegebiete 4.0 – Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Gebietsmanagement

Rund 80 Teilnehmende aus dem ganzen Bodenseeraum und darüber hinaus konnte Prof. Thomas Stark am 20. September 2019 zum Forum Gewerbegebiete 4.0 an der HTWG Konstanz begrüßen. Er wies darauf hin, dass die Relevanz nachhaltiger und zukunftsfähiger Gewerbegebiete durch den an diesem Tag stattfindenden weltweiten Klimastreik unterstrichen würde.

Cradle to Cradle-Expertin Katja Hansen, Baudezernent Stadt Konstanz Karl Langensteiner-Schönborn

Praxisrelevanz und Umsetzungsorientierung 

Dr. Yvonne Schröder von der Internationalen Bodensee-Hochschule (IBH) hob den Anspruch der Praxisrelevanz und der Umsetzungsorientierung der durch die IBH geförderten Regionalprojekte hervor. Sie hob in diesem Zusammenhang das große Interesse und die intensive Beteiligung von kommunalen und regionalen Akteuren am Projekt „Gewerbegebiete 4.0“ heraus.

In ihrer Keynote warb die Cradle to Cradle-Expertin Katja Hansen für einen neuen Blick auf das Thema Gewerbegebiete. In Politik, Planung und Öffentlichkeit würden diese Gebiete meist vernachlässigt. Gewerbegebiete sollten jedoch als Orte der Innovation verstanden werden, die in vielerlei Hinsicht einen „positiven Fußabdruck“ hinterlassen könnten. Gewerbegebiete müssten als wirtschaftliches und soziales Ökosystem verstanden werden, in dem Innovationen positive Auswirkungen für Stakeholder in der gesamten Wertschöpfungskette generieren können. Sie illustrierte ihre These mit verschiedenen internationalen Beispielen für innovative Gewerbebauten und Gewerbeparks.

Handlungsprogramm für ehrgeizige Qualitätsziele

Karl Langensteiner-Schönborn, Bürgermeister und Baudezernent der Stadt Konstanz, gab unter der Überschrift „Konstanz im Wandel“ einen Werkstattbericht über die Entwicklung von Gewerbegebieten in der Bodenseemetropole. Er zeigte auf, dass die Anforderungen hier sowohl in der Qualifizierung von Bestandsgebieten als auch in der – maßvollen – Neuentwicklung von Gebieten liegen. Dabei hat sich Konstanz im Handlungsprogramm Wirtschaft auf ehrgeizige Qualitätsziele etwa im Hinblick auf den Einsatz erneuerbarer Energien auf Dach- und Fassadenflächen oder die Flächeneffizienz in Gewerbegebieten verpflichtet.

Nicole Conrad, HTWG Konstanz; Prof. Dirk Engelke, Hochschule für Technik Rapperswil; Daniel Zwicker-Schwarm, IMP-HSG Universität St.Gallen

Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Gebietsmanagement

Nicole Conrad, HTWG Konstanz, Prof. Dirk Engelke, Hochschule für Technik Rapperswil und Daniel Zwicker-Schwarm, IMP-HSG Universität St.Gallen, berichteten von Ergebnissen und Erfahrungen aus dem Projekt „Gewerbegebiete 4.0“. Zielsetzung des Projekts war es, für die wirtschaftlich dynamische Bodenseeregion angesichts von Nutzungskonflikten und veränderten Standortbedarfen der Wirtschaft, Qualitäten zukunftsfähiger Gewerbegebiete herauszuarbeiten und innovative Strategien und Instrumente aufzuzeigen. Der intensive Austausch mit Politik und Verwaltung, Unternehmen und Kammern sowie Verbänden etwa aus dem Umweltbereich in Form von Experteninterviews, Fokusgruppen sowie einer Begleitgruppe (Sounding Board) war kennzeichnend für das Vorgehen im Projekt. Im Ergebnis wurden neun Handlungsfelder und dazugehörige Maßnahmen definiert. Im Webtool sind diese Handlungsfeldern und Maßnahmen mit Beispielprojekten aus dem Bodenseeraum und darüber hinaus illustriert. Als Fazit lasse sich festhalten, dass nachhaltiges Planen und Bauen, die Nutzung der Chancen der Digitalisierung und das Standort- und Gebietsmanagement die zentralen Aspekte auf dem Weg zu zukunfts- und wettbewerbsfähigen Gewerbegebieten sind. In der Bodenseeregion gebe es bereits viele gute Beispiele, die Anregungen für die Praxis bieten – dabei gelte es in der Umsetzung den unterschiedlichen Gegebenheiten, Standortprofilen und -potenzialen gerecht zu werden.

Webtool Gewerbegebiete der Zukunft

In der Pause hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, eine Beta-Version des Webtools „Gewerbegebiete 4.0“ zu testen und zu kommentieren. Nach der Mittagspause lud der „Markt der Möglichkeiten“ die Teilnehmenden zu einem Wissensaustausch mit Projektbeteiligten und Experten aus dem Bodenseeraum ein. Dabei wurden an verschiedenen Stationen die folgenden Themen vertieft:

  • Regionales Gewerbeflächenmanagement
  • Ressourceneffiziente, nachhaltige und klimaresiliente Gebäude und Infrastruktur
  • Energiemanagement
  • Nachhaltige Mobilität
  • Standort- und Gebietsmanagement
  • Digitalisierung
  • Wissensaustausch und Innovationsprozesse
  • Gewerbegebiete als Lebensorte
  • Ganzheitlich planen und bauen

Prof. Thomas Stark, HTWG Konstanz mit Teilnehmern des Forums Gewerbegebiete 4.0

Gewerbegebietsentwicklung und Anreize für Umsetzung vor Ort

Den Abschluss der Veranstaltung bildete die Podiumsdiskussion „Von der Theorie zur Praxis! Perspektiven für zukunftsfähige Gewerbegebiete im Bodenseeraum“. Wie Daniel Zwicker-Schwarm einleitend ausführte, sollten am Ende der Veranstaltung zwei Fragen nachgegangen werden: Welche neuen Ideen sind es wert, Eingang in die Praxis der Gewerbegebietsentwicklung zu finden? Welche Anreize und Unterstützungsangebote braucht es, damit neue Ideen auch vor Ort umgesetzt werden können?

Volker Schwarz, Geschäftsführer BODAN Großhandel für Naturkost, wies am Beispiel der Umstellung des Unternehmensfuhrparks auf Biokraftstoffe darauf hin, dass Betriebe sowohl Motivation als auch geeignete politische Rahmenbedingungen benötigen. Entwicklungspotenzial sieht er auch bei einer stärkeren Vernetzung der Unternehmen am Standort. Mit der Öffnung der eigenen Betriebskantine für andere Beschäftigte im Gewerbegebiet hat BODAN bereits gute Erfahrungen mit dem „Sharing-Prinzip“ gemacht.

Karl Langensteiner-Schönborn, Bürgermeister und Baudezernent der Stadt Konstanz, betonte, dass Kommunen bei der Entwicklung von Gewerbegebieten in Zukunft verstärkt auf Qualität achten müssten. Die Erwartungen von Unternehmen und ihren Beschäftigten an das Arbeitsumfeld, attraktive Freiräume, Infrastrukturen wie Kitas oder Sporteinrichtungen seien gestiegen. Dies müsse man bei der Neuentwicklung von Flächen beachten, sei aber auch eine wichtige Aufgabe bei der Qualifizierung von bestehenden Gebieten.

Wilfried Franke, Verbandsdirektor des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben, sieht die Notwendigkeit einer stärkeren interkommunalen Zusammenarbeit bei der Gewerbeflächenentwicklung. Schon jetzt hätten aber zahlreiche Kommunen in der Region keine Möglichkeit mehr, Gewerbeflächen auf der eigenen Gemarkung auszuweisen. Bei der aktuellen Fortschreibung des Regionalplans wurden daher erstmals regionalbedeutsame Gewerbeschwerpunkte festgelegt, die nun weitgehend interkommunal entwickelt werden.

Klaus-Dieter Schnell, Geschäftsführer der Internationalen Bodensee Konferenz (IBK), betonte, dass die Ergebnisse des Projekts „Gewerbegebiete 4.0“ sehr gut anschlussfähig seien an das Leitbild, das die Mitglieder der IBK Ende 2017 verabschiedet haben. Aktuell würden Diskussionen über ein gemeinsames Zielbild für die Raum- und Verkehrsentwicklung geführt. Auch in diesem Zusammenhang sei ein Erfahrungsaustausch über Qualitäten und praktische Lösungen der Gewerbeflächenentwicklung interessant.

Katja Hansen, Cradle to Cradle-Expertin, wies auf zwei Aspekte hin, die aus ihrer Sicht die im Projekt identifizierten Handlungsfelder ergänzen könnten. Erstens sieht sie große Potenziale in Ansätzen der „Circular Economy“. Regionale Materialkreisläufe könnten gerade in und zwischen Gewerbegebieten erfasst und verbessert werden. Zweitens biete das Konzept der Kooperativen, das etwa in der Landwirtschaft und im Finanzsektor sehr erfolgreich ist, auch für Gewerbegebiete interessante Ansatzpunkte. Die heute vorgestellten Standortinitiativen, wie etwa der Verein ASGO in St.Gallen/Gossau, wiesen in die richtige Richtung.

v.l.n.r. Katja Hansen, Cradle-to-cradle Expertin; Karl Langensteiner-Schönborn, Baudezernent Stadt Konstanz; Volker Schwarz, Bodan GmbH; Daniel Zwicker-Schwarm, Universität St.Gallen; Wilfried Franke, Verbandsdirektor Regionalverband Bodensee-Oberschwaben; Klaus-Dieter Schnell, Geschäftsführer Internationale Bodensee-Konferenz

Technologischer Wandel eröffnet neue Möglichkeiten

Im weiteren Diskussionsverlauf wurden noch weitere Aspekte angesprochen. So ergäben sich mit dem technologischen Wandel auch neue Möglichkeiten für einen Verbleib bzw. Reintegration von Produktion in die Stadt und neue Formen der Nutzungsmischung von urbaner Produktion, Dienstleistungen, Wohnen und Freizeit. Allerdings stünden in der Bodenseeregion viele Unternehmen, etwa im Bereich der Automobilwirtschaft, vor tiefgreifenden, noch nicht absehbaren Strukturbrüchen. Es würden auch zukünftig Flächen für die industrielle Produktion oder Logistik benötigt, bei denen keine Nutzungsmischung vorstellbar sei.

Es wurde angemerkt, dass für die Umsetzung nachhaltiger und zukunftsfähiger Qualitäten ein klarer konzeptioneller Rahmen notwendig ist. So könne in Konstanz die Verwaltung, die Politik und Investoren bei konkreten Entscheidungen auf das beschlossene Handlungsprogramm Wirtschaft und die darin verankerten Qualitätsziele verweisen. Um Unternehmen bei ihren baulichen Aktivitäten zu erreichen, sei die Ansprache von Multiplikatoren wie Kammern und Verbänden ebenso wichtig, wie überzeugende Leuchtturmprojekte, die zum Nachahmen animierten.

Zum Abschluss der Veranstaltung hob Prof. Thomas Stark, HTWG Konstanz, hervor, dass die Projektbeteiligten weiter an der Thematik Gewerbegebiete der Zukunft weiterarbeiten wollen und daher Rückmeldungen und Anregungen zu den bisherigen Ergebnissen, dem Webtool oder Möglichkeiten der Zusammenarbeit sehr willkommen sind.

Projektpartner:

  • IRAP Institut für Raumentwicklung, Hochschule für Technik Rapperswil HSR
  • IMP-HSG Institut für Systemisches Management und Public Governance, Universität St.Gallen
  • Fachgebiet Energieeffizientes Bauen, HTWG Konstanz

Auftraggeber: Internationale Bodenseehochschule IBH

Text: Daniel Zwicker-Scharm, Universität St.Gallen, IMP-HSG

Fotos: HTWG Konstanz