Metropolitan Smart Traffic (MST) und die Auswirkungen auf den öffentlichen Raum

Im Bereich des Themenfeldes Verkehr und Mobilität werden gegenwärtig viele neue Möglichkeiten (z.B. autonome bzw. automatisierte Fahrzeuge) diskutiert und zum Teil am Markt angewendet (z.B. E-Trottinett-Leihsysteme). Die Diskussion wird vornehmlich unter dem wirtschaftlichen Aspekt geführt, wie mit Mobilität Geld verdient werden kann. Städte und Gemeinden geraten in die Defensive und können ihre Planungsabsichten und verkehrsplanerischen Ziele nur bedingt bis gar nicht in diese Prozesse einbringen.

An dieser Stelle setzt die Anwendung Metropolitan Smart Traffic (MST) an. Als städtisches Verkehrsmittel kann MST auf eigenen Fahrstreifen von den Städten und Gemeinden betrieben werden. Es kommen kompakte, spurgenau geführte autonome Fahrzeuge zum Einsatz, die lediglich eine Fahrstreifenbreite von 1,50m benötigen. In Verbindung mit Platooning und einer intelligenten Verkehrssteuerung ergeben sich daraus neue Möglichkeiten der Flächenverteilung im Strassenraum. Durch die eigenen Fahrstreifen wird die Komplexität des Verkehrsablaufs reduziert, so dass ein Einsatz von selbstfahrenden Fahrzeugen ohne Chauffeur früher möglich erscheint als im gemischten Stadtverkehr. Aufgrund der eigenen Infrastruktur könnten die Städte das Verkehrsgeschehen entsprechend ihrer verkehrspolitischen Ziele steuern. Private Unternehmen können auf dieser Infrastruktur zugelassen werden.

Für die Implementierung von MST sind unterschiedliche Varianten denkbar. MST benötigt zwar eigene Fahrstreifen, aber sonst keine aufwendige Infrastruktur. Durch die offene Fahrzeugarchitektur wird kein Systementscheid gefällt. Ein Ausbau kann in kleinen Teilprojekten zu einem Gesamtsystem erfolgen.

Die Leistungsfähigkeit von MST ist theoretisch überprüft, eine planerische Überprüfung wird derzeit an verschiedenen Strassenräumen in der Schweiz konkretisiert. Dabei soll einerseits aufgezeigt werden, wie MST funktionieren könnte und welche verkehrsplanerischen Möglichkeiten sich daraus ergeben (ÖV-Bevorrechtigung in schmalen Strassenräumen, kann Fläche für den Fuss- und Veloverkehr gewonnen werden, Anwendungen für den Güterverkehr), andererseits sollen aber auch die städtebaulichen und freiraumplanerischen Auswirkungen auf den Strassenraum (können Flächen für den Aufenthalt, die Begrünung und die Erdgeschossnutzungen gewonnen werden?) aufgezeigt werden.

Auswirkungen auf öffentliche Räume

Oft werden verkehrsplanerische Innovationen technisch und monothematisch betrachtet. Dabei haben gerade selbstfahrende Fahrzeuge nicht nur einen verkehrsplanerischen Nutzen, sondern wirken sich direkt auf die angrenzenden Erdgeschosszonen und ganze Stadtviertel aus.

Bei der Installierung selbstfahrender Fahrzeuge im ÖV sollte zuerst eine Überprüfung der Parkplätze entlang der Route im öffentlichen Raum gemacht und wenn möglich deren Anzahl auch verringert werden. Einige dieser Flächen können als gekennzeichnete Abstellflächen für alternative Fortbewegungsmittel genutzt werden (E-Trottinettes, Velos,…). Der Grossteil des entstehenden Freiraums sollte aber den Menschen zur Verfügung gestellt werden, da insbesondere auch die Schaffung von nicht-kommerziellen Flächen essenziell für ein attraktives Raumbild ist. Bänke und Spielplätze im Schatten, zum Verweilen einladendes Stadtmobiliar, Bäume und Pflanzen können hier angedacht werden.

Gleichzeitig sollten auch die ansässigen Geschäfte, Läden und Restaurants die Möglichkeit haben den neu entstandenen öffentlichen Raum sinnvoll zu nutzen. Dort wo sich derzeit nur ein paar Mini-Tische zwischen Trottoir und Hauswand befinden, können beispielsweise neue Sitzmöglichkeiten entstehen. Läden und Geschäfte können so ihren Vorplatz attraktiver gestalten und indirekt durch die neu gedachten Verkehrssystemen profitieren.

Neue Mobilitätsformen und deren Implementierung in Städten haben folglich nicht nur Auswirkungen auf den städtischen Verkehr, sondern auch auf die Stadtentwicklung allgemein. Eine Betrachtung der Veränderungen im städtischen Gefüge sollte daher bei verkehrsplanerischen Initiativen mitbedacht werden. Ob durch automatisierte Fahrzeuge das Aussterben der Innenstädte gestoppt werden kann, muss jeweils orts- und stadtspezifisch beantwortet werden. Generell kann postuliert werden, dass sich eine Verkehrsberuhigung und ein effizienteres Verkehrssystem, ausgelöst durch neue Mobilitätsformen und damit einhergehend mehr Freifläche, positiv auf Erdgeschosszonen und Stadtviertel auswirken kann. Funktionen und Nutzungen des öffentlichen Raums sollten gesamthaft betrachten werden, um damit neue Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Grundsätzlich liegen Strassen und Verkehrsflächen in öffentlicher Hand. Gemeinden und Kantone sind daher in der Lage öffentliche Räume nach ihren Wünschen zu gestalten. Neue Mobilitätsformen wie MST können die Diskussion zur Flächenverteilung der Strassenräume neu entfachen, denn gerechte und attraktive Strassen- und Stadträume kommen den angrenzenden Flächen und auch den Erdgeschosszonen zugute. Insbesondere selbstfahrende Fahrzeuge als Zusatz zum derzeitigen ÖV können neue Impulse setzen, denn sie bewegen sich regeltreu, defensiv und emissionsarm. Das eröffnet neue Chancen für attraktive öffentliche Räume zum Flanieren, Spazieren, Einkaufen und Spielen. Je effizienter das Verkehrssystem ist, je mehr Menschen auf solche Angebote umsteigen, desto eher können neue Räume für andere Nutzungen und Freiräume entstehen. Öffentliche Stadt- und Strassenräume, die multifunktional als System geplant werden, aktivieren Orte und Strassenzüge und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Stadtentwicklung.

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Über den/die Autor/in

Carsten Hagedorn

Carsten Hagedorn ist Professor für Verkehrsplanung und Leiter des Kompetenzzentrum Fuss- und Veloverkehr

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