Wieso der Einsatz selbstfahrender Kleinbusse nicht für jede Stadt ideal ist

Immer mehr Schweizer Städte testen autonome Busse. Die wachsende Zahl von Testprojekten zeigt, dass ein Bedarf oder zumindest das technische Interesse für autonome Buslinien vorhanden ist. Aber lässt sich mit den heutigen, kleinen Fahrzeugen jede Buslinie automatisieren?  Kurz gesagt: Nein. Entscheidend ist, wie gross die Nachfrage auf der Buslinie ist, wie die Siedlungsstruktur und –dichte ausgeprägt ist und ob die Abfahrtszeiten der Bahn regelmässig über die Stunde verteilt sind oder nicht.
 


 

Der integrale Taktfahrplan als Fahrplan-Grundgerüst

Letzteres Kriterium ist besonders wichtig und hat mit dem integralen Taktfahrplan zu tun, welcher 1982 schweizweit eingeführt wurde. In einem integralen Taktfahrplan verkehren die Züge aller Linien in festen Zeitintervallen, um möglichst viele Anschlüsse zu ermöglichen. Im Schweizer Eisenbahnverkehr ist das meistens der Stundentakt, der Halbstundentakt oder Viertelstundentakt.

Abbildung: Die Symmetrie und das regelmässige und wiederholte Kreuzen von Zügen an definierten Knoten im Netz ermöglicht die Abstimmung optimierter Anschlüsse. Quelle: Forum ÖV Planung, Präsentation Luigi Stähli: Wo ist ein (Takt-)Fahrplan heute und morgen sinnvoll?, SMA+

Vollknoten

Durch den integralen Taktfahrplan wurde definiert, an welchen Knoten sich möglichst alle Züge um welche Zeit kreuzen, zum Beispiel immer um die Symetrieminuten "00", "15", "30" und "45" wie beispielsweise in Wetzikon. Aus betrieblichen Gründen sowie für eine optimale Umsteigezeit, liegen die Abfahrtszeiten aber meistens nicht genau auf diesen Minuten und verschieben sich von Linie zu Linie. Dies hat der Vorteil, dass die Umsteiger meist einen Anschlusszug haben, zudem lässt sich das Busangebot einfach auf diesen Fahrplan abstimmen, wobei neben dem Umstieg zwischen Zug und Bus auch der Umstieg von Bus zu Bus einfach möglich ist.

    Bushof Wattwil

    Foto: Bushof Wattwil (eigene Aufnahme)

    Der Nachteil eines Vollknotens ist, dass der Bahnhof während diesen Knotenzeiten durch die hohe Anzahl an Passagieren in kurzer Zeit an die Kapazitätsgrenzen gelangen kann, während in den Pausen dazwischen der Bahnhof praktisch leer ist. Der Busfahrplan ist deshalb stark auf die Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Bahn ausgerichtet, und muss mit vorwiegend grossen Fahrzeugen erfolgen.

    Da autonome Busse momentan noch sehr kleine Fahrzeuge sind, eignen sie sich für solche Städte und Gemeinden weniger, da mehrere autonome Fahrzeuge, welche eine Buslinie gleicher Kapazität ersetzen, mehr Fläche sowohl an der Kante sowie auch im Verkehr benötigen. Zudem bringt eine Taktverdichtung auf einer Buslinie (z.B. 10-Minuten statt 15-Minuten Takt) aufgrund der Zuganschlüsse (15-Minuten-Takt) ausgenommen für den Binnenverkehr wenig. Hingegen könnten schwach nachgefragte Gebiete neu an den ÖV angeschlossen werden, sofern der Takt im Einklang mit dem Bahnfahrplan ist.

    Beispiele:

    • Buchs SG
    • Wetzikon 
    • Wattwil
    • Wohlen AG
    • La-Chaux-de-Fonds
    Abfahrten der S-Bahn in Wetzikon

    Abbildung: Abfahrtszeiten der S-Bahn im Bahnhof Wetzikon

    Aufgelöste Knoten

    Leider funktionieren solche Angebotsknoten aus zeitlichen oder betrieblichen Gründen nicht überall, wie zum Beispiel in Uster. Da der Vollknoten in Wetzikon, wo sich die Züge gleicher Linie kreuzen, nur fünf Minuten entfernt liegt, und der Fahrplan auf die "schnellen" S-Bahnlinien nach Zürich-Stadelhofen (S5 und S15) ausgerichtet ist, gibt es hier eine stärkere Streuung der Abfahrtszeiten. Ein anderes Beispiel ist Wil: Die Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Züge sowohl im Regional- wie auch Fernverkehr sind über die ganze Stunde verteilt. Das macht die Erstellung von attraktiven Anschlüssen vom Bus auf die Bahn und umgekehrt extrem schwierig.

    Abfahrtszeiten der Bahn in Wil

    Abbildung: Abfahrtszeiten der Bahn im Bahnhof Wil

    Auch Grossstädte fallen in diese Kategorie, wie die Stadt Zürich. Hier ist das Angebot an Fernverkehrs- und Regionalzügen rund um die Uhr so dicht, dass sich keine angebotsbezogene Knotenstruktur erkennen lässt: Solche Bahnhöfe gehören zu den aufgelösten Knoten. Die Tram- und Buslinien verkehren im 7.5-Minuten oder 10-Minutentakt, womit eigentlich jeder Anschluss von oder auf die Bahn möglich ist. Ganz grob lässt sich also sagen: Je mehr Bahnverbindungen (und somit je grösser die Ortschaft), umso weniger wichtig sind einzelne Zuganschlüsse. Bei kleineren Städten und Gemeinden, wo der Takt nicht so hoch ist, ist aber ein guter Anschluss umso wichtiger. 

    Bei aufgelösten Knoten liegt das grösste Potential autonomer Buslinien mit den Fahrzeugen in der heutigen Grösse. Während heute in Städten wie Wil nur wenige Buslinien einen guten Anschluss auf alle Züge haben, oder einen unregelmässigen Busfahrplan, können durch die Einsparungen bei den Betriebskosten mehr Fahrzeuge gekauft werden, welche einen dichteren Takt fahren. So wäre z.B. in Wil statt einem 15-Minutentakt ein 10-Minutentakt auf den wichtigsten Stadtbuslinien möglich, womit die Bahnanschlüsse besser werden. Somit ist wie in grösseren Städten durch dem 10-Minuten-Takt praktisch jeder Bahnanschluss möglich. Zudem verbessert sich die lokale und regionale Erschliessung. Dies erlaubt wiederum eine Stärkung der Siedlungszentren und fördert somit die Innenentwicklung. 

    Während bei einer herkömmlichen Buslinie ein solcher Angebotsausbau relativ kostspielig ist, lässt er sich mit der gleichzeitigen Einführung autonomer Buslinien, zum Beispiel in Wil, mit denselben Betriebskosten (inkl. Anschaffungskosten) realisieren. Dies, weil die Personalkosten der Chauffeure 50% der Gesamtkosten ausmachen.  Da bei einer Taktverdichtung eine höhere Nachfrage erwartet werden kann, steigt der Kostendeckungsgrad dieser Linien. Somit werden bei gleichem Budget plötzlich auch Angebotserweiterungen am Abend oder am Wochenende denkbar.
     

    Zudem lassen sich durch die kleineren Fahrzeuge, welche nicht mehr alle zur gleichen Zeit abfahren müssen, Flächen an den Haltestellen, insbesondere beim Bahnhof, einsparen.

    In Wil lassen sich beispielsweise gegenüber dem Projekt "Masterplan Bahnhofsplatz" sechs Haltekannten einsparen, was der Fläche von 600 – 800 m2 entspricht. Das ist Platz, welcher für eine zweite Baumreihe, kürzere Umsteigewege zur Frauenfeld-Wil-Bahn oder mehr Platz für den Fuss- und Veloverkehr sinnvoll genutzt werden kann.

    Beispiele:

    • Zürich, Basel, Genf, Bern…
    • Olten
    • Burgdorf
    Masterplan Bahnhofsplatz Wil

    Abbildung: Der geplante Bushof in Wil. Damit er den heutigen Anforderungen entspricht, wird die Fläche mehr als verdoppelt  (erfordert Verlegung der Endhaltestelle der Frauenfeld-Wil-Bahn nach Westen). 
    Quelle: Masterplan Zukunft Bahnhof Wil, Dezember 2015

    Belegungsplan Bahnhof mit autonomen Bussen

    Abbildung: Durch ein vom Bahnfahrplan unabhängigen 10-Minutentakt würden 2 Bushaltekanten ausreichen, um den Stadtbusbetrieb abzuwickeln. Es könnten somit 6 Haltekannten (ca 25% der Fläche des geplanten Bushofes) eingespart werden.
    Quelle: Eigene Darstellung

    Fazit

    Der Einsatz von autonomen Bussen im heutigen Entwicklungsstand sind vor allem für kleine bis mittlere Städte interessant, welche im Schienenverkehr über eine aufgelöste Knotenstruktur verfügen. In solchen Städten könnten konventionelle Linien durch autonome Busse, welche (auch bedingt durch die geringere Beförderungskapazität) in einem 10-Minutentakt oder 7.5-Minuten-Takt fahren, ersetzt werden. Damit werden die Nachteile für solche Städte gegenüber Vollknoten teilweise kompensiert, indem bessere Anschlüsse Bus-Bahn und Bus-Bus möglich sind. Man kann dieses System mit Grossstädten vergleichen, wo der Tram- und Busfahrplan so dicht ist, dass er nicht auf den Bahnfahrplan abgestimmt werden muss. Der Einsatz von autonomen Busslinien eignet sich dort aber aus Kapazitätsgründen nur bei sehr schwach nachgefragten Linien.
    In Städten mit Vollknoten, wo die Züge beispielsweise immer gebündelt, z.B. um die Minuten "00" und "30" ankommen und abfahren, sind die Anschlüsse an das Busnetz meistens schon sehr gut, da in diesem Fall ein regelmässiger Halbstundentakt einfacher realisierbar ist und somit mehr Anschlüsse ermöglicht.

    Würden konventionelle Buslinien durch autonome Fahrzeuge ersetzt, lassen sich dabei Kosten einsparen, womit sich ohne höhere Betriebskosten ein besserer Takt anbieten lässt, auch die Betriebszeiten können verlängert werden. Somit verbessert sich die ÖV-Erschliessungsgüte, was die Innenentwicklung fördert. Zudem sind die Haltekanten kürzer, womit sich viel Fläche an städtebaulich wichtigen Lagen einsparen lässt.

    Ein Nachteil ist, dass die Fahrzeuge gegenwärtig noch sehr klein sind, womit es bei wichtigen Anschlüssen eventuell zwei oder mehr Fahrzeuge in Folge benötigt. Auch sind sie eher langsam, weshalb sie nur in Städten mit einer gewissen Dichte und kompakter Siedlungsstruktur Sinn machen. Man muss sich auch Gedanken über die Auswirkungen des besseren Angebotes und die Linienführung machen, da dadurch vielleicht an Orten ein Siedlungsdruck ausgeübt wird, wo dies nicht erwünscht wird. Dies erfordert eine sorgfältige Abstimmung des ÖV-Angebotes auf raumplanerische Instrumente wie die Richtplanung oder Nutzungsplanung.


    Über den/die Autor/in

    Matthias Peter

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