Auswirkungen der Digitalisierung auf den ländlichen Raum

Ländliche Räume haben vielfach mit Problemen der Abwanderung der Bevölkerung zu kämpfen. In diesen peripheren Regionen sind weniger Arbeitsplätze und Bildungsangebote vorhanden, weshalb insbesondere junge Menschen und Familien in städtischere Gebiete ziehen. Durch die Bevölkerungsabnahme werden mangels Wirtschaftlichkeit die Angebote des Service Public abgebaut, wodurch diese Räume noch weniger attraktiv werden.

Die fortschreitende Digitalisierung könnte gegen diese Abwärtsspirale verschiedene Lösungsansätze bieten, sofern auf die Gegebenheiten des ländlichen Raums eingegangen wird. Neben spezifischen Veränderungen in einzelnen Branchen, wie in der Landwirtschaft (z.B. fortschreitende Automatisierung und Fernsteuerung) oder im Tourismus (z.B. neue Vertriebskanäle, bessere globale Vernetzung, veränderter Wettbewerb), wirkt sich die Digitalisierung auch auf die Gesamtheit des ländlichen Raums als vielfältigen und ganzheitlichen Lebensraum aus. Ein entscheidender Faktor stellt dabei die Enträumlichung dar. Durch die Digitalisierung spielt es immer häufiger keine Rolle mehr, wo sich die Personen befinden. Die Nachteile aufgrund der räumlichen Entfernung werden verringert, sofern die Grundvoraussetzung einer Erschliessung mit Breitbandinternet gegeben ist. Nachfolgend werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die ländlichen Raume als vielfältige und ganzheitliche Lebensräume betrachtet, mit den dafür besonders bedeutenden Bereichen der Mobilität, digitalen Dienstleistungen sowie der Flexibilisierung des Arbeitsortes bzw. des mobilen Arbeitens.

Mobilität

Zukünftig wird sich der ÖV im ländlichen Raum weg vom rein klassischen Taktfahrplan hin zu vermehrten on-demand Angeboten entwickeln, die über Apps und Internet gebucht werden. Durch Sharing- und Pooling-Angebote wird zudem der kombinierte öffentlich-private Individualverkehr zunehmen. Die Automatisierung wird den MIV für neue Nutzergruppen erschliessen und eine produktive Nutzung der Fahrtzeit ermöglichen. Diese Veränderungen werden zu einer Zunahme des MIV und zu längeren Fahrstrecken führen. Andererseits ermöglicht die Entwicklung aber auch eine bessere Erschliessung ländlicher Räume.

Digitale Dienstleistungen

Durch die Digitalisierung können viele Dienstleistungen online angeboten werden, vom Onlinehandel über Verwaltungsdienstleistungen bis hin zur Telemedizin. Dadurch können auch entlegene Regionen (wieder) von zusätzlichen und teilweise effizienteren Dienstleistungen profitieren. Dies kann die Attraktivität eines Ortes steigern und einen wichtigen Beitrag zur Stärkung ländlicher Gemeinden leisten.

Andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass ein Abbau lokaler Dienstleistungen vor Ort aufgrund der digitalen Möglichkeiten begünstigt wird. Dadurch werden Nutzergruppen von Dienstleistungen ausgeschlossen, die über keinen Internetzugang verfügen bzw. diesen nicht nutzen können. Dies betrifft derzeit insbesondere die ältere Bevölkerung, die weniger mit digitalen Medien vertraut ist, aber aufgrund ihrer oft eingeschränkteren Mobilität in besonderem Masse von lokalen Angeboten abhängig ist. Ausserdem können mit dem Abbau von lokalen, physischen Dienstleistungen auch ein Verlust an lokaler Identität und Besonderheit sowie der Verlust eines Begegnungsraums einhergehen. Die Lebendigkeit und Einzigartigkeit ländlicher Räume nehmen dadurch ab. Vielfach sind jedoch gerade solche Aspekte ein Grund für den Verbleib bzw. Zuzug in ländliche Gemeinden. Durch den Abbau physischer Angebote kann die Digitalisierung folglich auch einen negativen Einfluss auf die Standortattraktivität ländlicher Regionen haben.

Eine Lösung bieten Konzepte von Dienstleistungszentren, die verschiedene Dienstleistungen zusammenfassen und gleichzeitig einen qualitätsvollen Begegnungsraum im Dorf schaffen. So können Synergien genutzt, Ressourcen geteilt und ein zusätzlicher sozialer Mehrwert erreicht werden. Das vom Institut für Raumentwicklung der Ostschweizer Fachhochschule entwickelte Konzept der Quartierhubs könnte einen solchen Ansatz darstellen. Neben einem Micro-Mobilitäts-Hub sollen dabei auch die Wahrung/Schaffung von Identität oder die Verbesserung der Versorgungslage berücksichtigt werden.

Mobiles Arbeiten

Eine der bedeutendsten Auswirkungen der Digitalisierung für die Stärkung des ländlichen Raums betrifft das mobile Arbeiten. Durch die zunehmende Möglichkeit, die Arbeit ortsunabhängig bspw. im Homeoffice oder in einem Coworking Space auszuführen, wird die Distanz zum physischen Arbeitsplatz weniger relevant. Arbeitnehmende können dadurch eher an ihrem Wohnort bleiben oder ziehen gar erst aufgrund der Homeofficemöglichkeit aufs Land. Arbeit und Familie/Freizeit lassen sich besser verbinden, was wiederum neue Perspektiven bietet. Durch die grössere Anzahl (und Diversität) an Arbeitsplätzen bzw. arbeitenden Personen innerhalb der Region wird diese auch stärker belebt. Das kann eine Chance für das lokale Gewerbe und den sozialen Zusammenhalt sein. Zudem wird die Grundversorgung vermehrt genutzt. Coworking Spaces können in ländlichen Zentren auch die regionale Zentrumsfunktion, die damit verbundenen Dienstleistungen und den sozialen Austausch stärken sowie die Lebensqualität vor Ort erhöhen. Vorhandene Räumlichkeiten bestehender oder aufgegebener Dienstleistungen könnten dafür neu genutzt werden.

Weiter können ortsansässige Unternehmen ihren Umsatz durch die online Vermarktung ihrer Produkte steigern und neue Vertriebskanäle erschliessen. Die Digitalisierung ermöglicht ausserdem auch die Ansiedelung von neuen Unternehmen im ländlichen Raum, die beispielsweise von den tieferen Immobilienpreisen profitieren.

Trotz der häufig beschriebenen Potentiale birgt die Digitalisierung für den ländlichen Raum aber auch Risiken. Da die urbanen Regionen betreffend Digitalisierung die besseren Voraussetzungen mitbringen, könnte der ländliche Raum den Anschluss an die städtischen Regionen gar verlieren. Denn die Standortvorteile der Städte wie bspw. qualifizierte Arbeitskräfte, innovative Milieus oder die Nähe zu Bildung und Forschung werden durch die Digitalisierung an Bedeutung gewinnen.

Zudem wird das Potential für den ländlichen Raum durch Teilzeit-Homeoffice limitiert. Bei wöchentlichen Büroarbeitstagen bleibt der Grossteil des ländlichen Raums aufgrund der langen Arbeitswege zu wenig attraktiv. Vielmehr profitieren dann Agglomerationsgemeinden, die aufgrund des besseren Anschlusses an die Zentren innerhalb derselben Zeitspanne deutlich mehr Arbeitsplätze erschliessen als ländliche Gemeinden. So gibt es Hinweise, dass die Homeofficemöglichkeit keinen markanten Einfluss auf die Wohnortwahl hat. Eine grosse Chance bieten dafür Zweitwohnungen: Diese können vermehrt auch als Arbeitsort und somit häufiger genutzt werden. Dadurch werden die Angebote vor Ort vermehrt nachgefragt und es besteht das Potential, die temporären Einwohnenden stärker in das Dorfleben einzubinden. Es entstehen jedoch auch neue Herausforderungen: Das soziale Gefüge, die Nutzung des Raums sowie der Bedarf an Dienstleistungen und Infrastruktur verändern sich. So führen die gestiegenen Immobilienpreise vereinzelt bereits zu einer Knappheit an bezahlbarem Wohnraum für Ortsansässige.

Fazit

Die Digitalisierung hat vielseitige Auswirkungen auf den ländlichen Raum. Sie bietet auch jenseits der klassischen Wirtschaftsbranchen grosse Potentiale, um die ländlichen Regionen nachhaltig zu fördern. Insbesondere kann sie eine Stärkung des vielfältigen und ganzheitlichen ländlichen Lebensraums ermöglichen, der nicht nur von einzelnen Wirtschaftszweigen, z.B. Tourismus oder Landwirtschaft, abhängig ist. Dennoch birgt die Digitalisierung auch Risiken und Herausforderungen. Um die Digitalisierung als Chance nutzen zu können, braucht es daher an die ländlichen Bedürfnisse und Gegebenheiten angepasste Lösungen.

 

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Autorin: Rebecca Hunziker