Digitalisierung im Detailhandel und die Auswirkungen auf die Stadt und Gemeinde

Die Corona-Pandemie hat erheblichen Einfluss auf das alltägliche Leben, das städtische Leben ist während des Lockdowns nahezu erlahmt. Die Bürgerinnen und Bürger sind insgesamt betroffen, der Lockdown hat allerdings insbesondere den Detailhandel und die Gastronomie wirtschaftlich getroffen. Der Detailhandel ist ohnehin seit Jahren der Konkurrenz durch Einkaufszentren und in der jüngeren Vergangenheit noch zusätzlich der Konkurrenz durch den Online-Handel ausgesetzt. Insofern ist der stationäre Detailhandel aktuell tatsächlich mehrfach betroffen. In den Grenzregionen der Schweiz ist die Situation noch schwieriger, denn hier gibt es – auf Grund des Preisgefälles in Verbindung mit dem Wechselkurs zum Euro – einen zusätzlichen Wettbewerb, der zum Teil bis in die Innerschweiz spürbar ist. Ungeachtet der konkreten wirtschaftlichen Situation der/ des Einzelnen, stellt sich allerdings die Frage, ob das in der Vergangenheit verdiente Geld in die Zukunft investiert wurde, also insbesondere in die Digitalisierung, namentlich in den eigenen Online-Auftritt. Der harte Lockdown macht unmissverständlich deutlich, dass der Detailhandel gut beraten (gewesen) ist, einen Teil der Gewinne der vergangenen Jahre in eine zukunftsfähige Unternehmenskonzeption zu investieren. Es war zu erwarten, dass die realen Umsätze im stationären Detailhandel nicht stetig wachsen, was auch aber nicht nur mit dem wachsenden Online-Handel zu tun hat, sondern allgemein mit der Verwendung der privaten Ausgabebudgets (Allgemeine Lebenshaltung, Freizeit, Kultur usw.). Es wird Zeit, dass der stationäre Detailhandel auch für etwas wirbt: für attraktive und moderne öffentliche Räume, für klimagerechte Mobilität, um weiterhin erreichbar zu sein, für den Einsatz digitaler Möglichkeiten, also auch für die eigene digitale Modernisierung. Die Geschäfte mit einem zeitgemässen Internetauftritt können - wie der Online-Handel insgesamt - mit ihrem Personal in der Lockdown-Phase online dieselben Dienste anbieten wie Amazon & Co. Im Kielwasser der Entwicklung des Detailhandels hat die Immobilienwirtschaft eine wichtige Funktion übernommen: Sie steuern als Betreiber von Shopping-Center ausserhalb der Zentren und als Vermieter innerhalb der Zentren, die Entwicklung dieser. Insbesondere in grösseren Städte und Gemeinden sind sie die heimliche Macht der Zentrenentwicklung.

Auch die Städte und Gemeinden sind in der Pflicht. Niemand vernachlässigt sein Haus auf Dauer, aber die Städte, Politik und Verwaltung, vernachlässigen oftmals – aus Kostengründen – die Entwicklung und Erhaltung der gestalterischen Qualitäten in den Ortskernen, den Innenstädten und Quartierszentren. Wenn die Zentren menschenleer sind, fallen die Defizite im öffentlichen Raum deutlich auf. Da die Zentren im Angebot immer ähnlicher werden (Verbreitung von Filialketten) das Bedürfnis der Menschen nach Aufenthaltsräumen aber weiterhin sehr hoch ist, wird eine hohe Qualität des öffentlichen Raumes noch erforderlicher; dies gilt auch für die "Seitenwände" des öffentlichen Raumes – die Fassaden der Gebäude. Der innerstädtische Freiraum wird nicht nur gesellschaftlich immer wichtiger, sondern auch stadtklimatisch.

Der Lockdown mit seinen erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen wird aber auch in der langen Zeitachse der Entwicklung spürbar sein. Die Gemeinden und ihre Akteure müssen sich den Zukunftsfragen stellen. Ein weiter so, wie bisher, ist der falsche Weg. Das Online-Einkaufen wird nicht wieder auf das Vor-Corona-Niveau zurückfallen, wie aber kann sich der Handel neu erfinden? Was passiert, wenn "Homeoffice" in vielen Bereichen bleibt? Sinkt dann auch die Nachfrage für Handel und Gastronomie in den Zentren, die auch von Pendlerinnen und Pendlern abhängig sind? Wird die Innenstadt so, wie bisher funktionieren? Wird der öffentliche Raum sich anders präsentieren müssen?

Wir sind in einem Zeitenwandel und müssen dies auch als Chance begreifen. Wir müssen jetzt die Fragen stellen, die bisher vermieden worden sind, weil es uns in den Städten und Gemeinden überwiegend ziemlich gut ging und wir müssen die Fragen stellen, die es vorher gar nicht gab. Auf Grund der Vielschichtigkeit und Komplexität dieser Fragen, sowie deren möglichen Antworten, wäre – meines Erachtens – die allgemeine Bevölkerung mit dem Fragenstellen und deren Beantwortung überfordert. Hier müssen fachliche Angebote gemacht werden, über die dann mit der Öffentlichkeit diskutiert und angepasst werden müssen. Eines ist aber jetzt schon klar: Einfache Lösungen wird es nicht geben und vielleicht wird es auch schmerzhaft sein, wenn man sich von liebgewordenen Gewohnheiten und Reaktionsreflexen verabschieden muss. Aber, wenn alles so bleiben soll, wie es ist, muss sich etwas ändern (Tancredi) oder wie ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.

 

 



Über den/die Autor/in

Donato Acocella

Donato Acocella ist Professor für Raumentwicklung an der OST

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