Fordert Digitalisierung die Landschaftsarchitektur heraus?

Landschaft und Freiraum sind in ihrer Erscheinung ein Abbild der Raumnutzung sowie der natürlichen Vorprägung und Rahmenbedingungen. Die bisherigen gesellschaftlichen Megatrends – wie Mechanisierung, Industrialisierung, Elektrifizierung - haben deutliche Auswirkungen auf die Landschaft und Freiraum in Bild, Erlebbarkeit und funktionalem Zusammenhang gehabt; so wird auch die Digitalisierung ihre Zeichen hinterlassen. Reagiert die Landschaftsarchitektur?

Eine ‘digitalisierte Welt’ prägt Landschaft, deren Nutzungen und die Nutzenden.

Landschaft und Freiraum sind in ihrer Erscheinung ein Abbild der Raumnutzung sowie der natürlichen Vorprägung und Rahmenbedingungen. Die bisherigen gesellschaftlichen Megatrends – wie Mechanisierung, Industrialisierung, Elektrifizierung - haben deutliche Auswirkungen auf die Landschaft und Freiraum in Bild, Erlebbarkeit und funktionalem Zusammenhang gehabt; so wird auch die Digitalisierung ihre Zeichen hinterlassen. Landschaft und Freiraum sind ein ‘Gemeinschaftsprodukt’ vieler Akteure.

Wie sich Digitalisierung auf Raum und Landschaft mit all ihren Nutzungen, die Nutzenden selbst, aber auch die Landschaftsplanung (Landschaftsarchitektur, Erholungslenkung etc.) auswirkt, ist bisher kaum Gegenstand der Forschung. NUDIG kann hier nur Gedankenansätze liefern. Unbestritten ist, dass ‘etwas auf uns zu kommt’. Es gilt für Planende, Politik und Verwaltung sich mit den Veränderungen und den Chancen auseinanderzusetzen.

Wo lohnt es sich hinzuschauen?

In der Erholungslenkung - z.B. Vermeiden von Überlastungserscheinungen an naturnahen Erlebnis-Hotspots – sind die Chancen der digitalen Erfassung von Nutzerdaten von besonderer Bedeutung. Wieso nicht ‘Staumeldungen’ auch in Bezug auf Naherholung und Naturschutz? In der Verkehrsplanung können wir es auch. Die Gemeinden müssen sich diesem Anliegen aber zunächst einmal annehmen. Erlebnisreiche, ökologisch nachhaltig genutzte Landschaft ist ein öffentliches, immaterielles Gut. Deren Pflege und Lenkung obliegt den Gemeinden.

Information von Besuchenden über landschaftliche Werte, Besonderheiten, die Geschichte und Aktualitäten lassen sich mittels digitaler Kanäle zeitnah distributieren. Gezielte Lenkung von Parkplatzsuchenden in den Siedlungsbereichen aber auch der Naherholungslandschaft können mit digitalen Instrumenten unterstützt werden. Echtzeit-Informationen statt Ex-Post-Prognosen, E-Partizipation als Mittel direkterer Verlinkung von Bevölkerung und Planungsentscheiden, digital-unterstützte Visualisierung von Bauvorhaben u.v.a.m. sind weitere zukunftsnahe Entwicklungen, welche das Verhältnis Mensch / Raum beeinflussen. Die Landschaftsarchitektur muss zeitnah gewappnet sein, diese Neuerungen in ihre Arbeits- und Kommunikationswege zu implementieren. In den Abschlussergebnissen des Forschungsvorhabens werden verschiedene Hinweise zusammengestellt, welche nicht nur die Gemeinden sondern auch die Planenden aufruft, sich deren zu bedienen.

In Bezug auf Nutzung und Nutzende werden uns in Folge der weiter zunehmenden Digitalisierung laufend neue Objekte begegnen und neue Mittel zur Verfügung stehen. Einige Beispiele:

  • ‘Robotik’: automatisierte Gehhilfen, Maschinen des Smart Farmings wie selbstfahrende Traktoren, Drohnen, Internet of Things, automatisierte Bewässerungssystem für Stadtbäume, ...
  • ‘Sensorik / Vermittlung’: Einsatz von Augmented Reality und Virtual Reality, digitalisierte Vegetationskartierung mittels UAV Datenerfassung und Remote Sensing Auswertungen, ...
  • ‘Konnektivität’: schnelle Verbindungen, ständige Erreichbarkeit, Unabhängigkeit von Arbeits- und Aufenthaltsort ...

Auf der anderen Seite werden die dazu benötigten Infrastrukturen wie 5G-Antennen, Leitbauwerke für autonome Fahrsysteme etc. auf- und augenfällig werden. Es stellt sich die Frage, nach ‘digital-freien’ Räumen.

Marcelo da Veiga zieht einen Schluss, der für die Rolle der Landschaftsarchitektur durchaus von höchster Bedeutung, bedenkenswert und übertragbar sein dürfte: „Im Zeitalter des digitalen Sogs kommt der ästhetischen Bildung, wenn man darunter neben anderem auch eine Vertrauenskultur in die Sinnesfunktion verstehen will, eine neue therapeutische und salutogenetische Bedeutung zu, wenn sie sich stark genug erweist, der oben erwähnten digitalen Entsinnlichungseuphorie entgegenzuwirken». (da Veiga, M., 2018: Wenn Bilder die Wirklichkeit ersetzen – Ästhetische Bildung und Liquid Modernity. In: Buchholz, Kai / Mollenhauser-Klüber, Elisabeth (Hg.): Landschaftskultur und Kulturlandschaft. Beiträge zur ästhetischen Bildung. Aesthesis Verlag. Bielefeld. 2018, S. 49).

‚Wirkliche‘, gestaltete und erlebnisreiche Landschaft und Freiräume werden (auch als naturerlebnisreicher und digitalfreier ‚Ausgleichsraum‘) besondere Bedeutung behalten und erlangen. Die Landschaftsarchitektur sollte die Verantwortung für ‚reale Landschaft‘ und ‚reales Landschaftserleben‘ in Zeiten starker virtueller und digitaler Gewichtung verstärkt einfordern und unterstützen.

Dies zeigt sich auch in unseren Umfrageergebnissen der Delphi-Umfrage im Forschungsprojekt NUDIG. Unsere These zu notwendigen Gegenentwürfen zur ‘ver-digitalisierten Welt («Naherholungsgebiete müssen auch Rückzug von Digitalem ermöglichen: Das Leben wird auf allen Ebenen von digitalen Geräten und Entwicklungen dominiert. Die Möglichkeit sich für einige Zeit davon zurückzuziehen wird als wichtiger Faktor in der Naherholung wahrgenommen») wurde von 91% in der Experten- und von 80% der Kontrollgruppe unterstützt (vgl. Schmitt, u.a., 2019). Die Landschaftsarchitektur erhält hier eine besondere Aufgabe!

Dem sensorischen Erleben von Natur und Landschaft kommt gemäss der Expertenumfrage dabei eine besondere Bedeutung zu; auch der Chance zur Abschottung in der Naherholung wird eine wichtige Rolle zugeordnet.

Sowohl die Experten-, wie auch die Kontrollgruppe, stimmen mehrheitlich zu, dass die zunehmende Nutzung von technologischen Neuerungen eine Auswirkung auf die Landschaftsnutzung und auf die Naherholung haben wird.

Welche Gestaltungsanforderungen und -möglichkeiten Naherholungslandschaften im digitalen Zeitalter stellen, wie Siedlungsfreiräume ohne Parkplätze (nachhaltigere Mobilitätsnutzung) und mit neuen Erdgeschossnutzungen (Stichwort Online-Handel und Workspaces) aussehen? ... die Landschaftsarchitektur muss am Ball blieben.

«Unser Ziel muss es sein, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es den Menschen gefällt. Kinder müssen darin spielen können. Die Gefahren des Verkehrs müssen gebannt sein. Der Fussgänger muss ungefährdet quer über Strassen und Plätze gehen können»

Wir müssen erkennen, was die Menschen wirklich gernhaben. Wir müssen ihre Lebensgewohnheiten studieren. Wir müssen sie mitreden lassen und unsere Stadt, so gut es überhaupt geht, danach bauen. ...» (Metron Themenheft 36, S.13)

Verweise:

Schmitt, H.M., Braem, B., Michelon, L., Schellenberger, S.: Nutzen der Digitalisierung für die Raum- und Landschaftsentwicklung. Ergebnisse Delphi Freiraum und Landschaft. Stand 28.2.209; korr. 15.1.2021, PDF

Metron AG (Hrsg.), 2020: Von digitalen Dörfern und Städten, Themenheft 36. Brugg.

Bürgin, Reto, 2020: Heute hier, morgen dort – digital und ortsunabhänhgig arbeiten. In: Metron AG, 2020. Themenheft 36. Brugg.

 

 



Über den/die Autor/in

Hans-Michael Schmitt

Professor für Landschaftsplanung / Dipl. Ing. TUH SIA Landschaftsarchitekt / BSLA Institutspartner Institut für Landschaft und Freiraum ILF der OST

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